55 Stimmen

55 Stimmen fehlten mir 2021, um in den Grossen Rat gewählt zu werden. Das ist nicht sehr viel, wenn man bedenkt, dass ich knapp 3000 Stimmen erhielt.

 

Und jetzt lauten die spannenden Fragen: wird es diesmal reichen? Was braucht es dafür?

 

Spoiler: es reichte bei weitem nicht. Ein kleiner Rückblick findet sich am Ende des Textes.

Eine Prognose wagen?

Prognosen sind schwierig. Im Unterschied zum letzten Mal bin ich nun viel mehr Menschen bekannt. Ob im positiven oder im negativen Sinne, das lasse ich euch entscheiden. Was man mir zurückmeldet, ist, dass man bei mir wisse, wofür ich stehe und wofür ich mich einsetze, dass ich dies sehr engagiert mache, nicht nur reklamiere, sondern auch bereit sei, zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Opportunismus liege mir fern. Ich sei kritisch und mutig, getraue mich, auch Probleme anzusprechen. Ich sei eher ernst, sehr streng (v.a. mit mir), und ich könne auch sehr lustig sein.

 

Aber die Themen...

 

Hier das Symbolbild zu solchen Gesprächen, ein Netzfund:

Mit dem Zeitgeist gehen?

Früher hiess es bei Kritik an meiner Politik immer, man müsse nicht auf jeden Zeitgeist aufspringen (ich erspare euch Links auf die entsprechenden Zeitungsartikel). Das ist, angesichts des aktuell vorherrschenden Zeitgeistes und der vielen Menschen, die sich dem rechten Mainstream anbiedern (inklusive unserer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter, meine Güte), etwas lustig. Meine Themen passten ihnen einfach nicht. Da war es einfacher, diese als "Zeitgeist" abzustempeln.

 

Aber kommen wir nun zu meinen Themen. Ich weiss, sie sind grad nicht "en vogue". Obwohl ich diese Kritik noch immer nicht verstehe. Bildung, Familie, das Wallis als attraktiver Lebens- und Arbeitsort. Welcher dieser Aspekte ist für unseren Kanton nicht relevant?

  • Grad die Bildung, beim akuten Mangel an Lehr- und Fachpersonen. Da müsste unbedingt ein Fokus gesetzt werden. Ein simples Beispiel: Die integrative Schule ist nicht am Anschlag, weil die Idee nicht stimmt oder weil es zu wenig Ressourcen gibt, sondern weil es an ausgebildetem Personal fehlt. Selbst wenn einer Klasse oder einem Kind heilpädagogische Ressourcen zugesprochen werden, fehlt diese Unterstützung öfters, weil es zu wenig ausgebildete Heilpädagoginnen gibt.
  • Auch Familie ist nicht einfach nur Privatsache. Die Eltern sollen erwerbsarbeiten, als hätten sie keine Kinder. Und ihre Kinder erziehen und begleiten, als hätten sie keine Erwerbsarbeit. So vielen Kindern und Jugendlichen geht es nicht gut. Die Wartelisten für Therapien sind auch bei uns im Wallis lang. Da muss doch auch politisch etwas geschehen, mit Appellen an die Eltern und dem Nachtrauern der guten alten Zeiten ist es nicht getan. Es braucht mehr Prävention, mehr Gruppentherapien, eine schnellere Überweisung an Psychologinnen, Regulierung von sozialen Medien. Wer setzt sich dafür politisch ein?
  • Es soll uns in unserem Kanton langfristig gut gehen, wir wollen eine wirtschaftliche Perspektive haben und Familien, jungen Menschen und älteren Generationen eine gute Infrastruktur sowie ein soziales Netz bieten.
  • Dann: Gleiche Rechte und Chancen für alle. Was daran ist verkehrt?
  • Die Demokratie stärken. Wann war das wichtiger als in diesen Zeiten, in denen geopolitisch grad so vieles zerfällt? Es braucht Gegenrede und einen langen Atem.

Es ist völlig ok, wenn Menschen meine Ansichten nicht teilen und mich deshalb nicht wählen. Ich will niemanden überzeugen, der oder die andere Ziele hat. Auch wenn ich schampar gerne nach Sitten gehen würde, ich stelle mich einer Wahl. Verlieren gehört dazu. Aber wenns wieder nur 55 Stimmen sind? Dann wäre das schon schade.

Das kannst du tun: Wählen. Und zum Wählen motivieren.

Die Stimmbeteiligung im Bezirk Visp lag 2021 bei 62%. Das ist gar nicht so tief. 11'390 Menschen gingen an die Urne. Aber auch 7001 der stimmberechtigten Personen wählten nicht. Also wenn es wieder so knapp wird wie vor vier Jahren, und ich nur 55 dieser 7001 Menschen überzeugen kann, doch wählen zu gehen und meinen Namen auf den Zettel zu schreiben, dann kann es diesmal reichen.

 

Mein Ziel ist es nicht, Menschen zu überreden, die meine Ansichten nicht teilen. Ich möchte Menschen motivieren, wählen zu gehen. Aus welchen Gründen auch immer sie bisher bei Wahlen fernblieben, vielleicht kann sie die Zahl 55 motivieren. Wenn sie sehen, wie knapp es manchmal ist, dann wird ihnen vielleicht klar, dass jede Stimme zählt. Auch ihre. Und dass dieser Hastag, #jedestimmezählt, nicht einfach eine leere Floskel ist.

 

Also. An die Urne. Überzeugt eure Freundinnen, Freunde und Bekannten, wählen zu gehen und so auch einen Beitrag zur Demokratie und zu einem lebenswerten Kanton zu leisten. Dankeschön. :)

Nach den Wahlen

Die Wahlen sind vorbei. Dieses Mal haben mir mehr als 600 Stimmen gefehlt. Selbst wenn ich die tiefe Stimmbeteiligung herausrechne, war mein persönliches Resultat, gelinde gesagt, vernichtend. Die zwei Monate Wahlkampagne waren emotional und auch finanziell ein grosser Happen. Bis heute weiss ich nicht so richtig, wieso ich nochmals kandidierte. Da waren der Wille und der Wunsch, dass die Partei ihre Sitze halten kann (was gelang), weil die sozialliberale Stimme im Wallis gerade in diesen Zeiten sehr wichtig ist. Es war auch ein Experiment, inwieweit es nützt, bekannter zu sein (gar nichts, in meinem Fall verkehrte sich dies ins Gegenteil).

 

Ich bin nicht traurig, dass ich nicht gewählt wurde, auch wenn ich es bedaure. Ich hätte mir aber ein besseres persönliches Resultat gewünscht. Ich meine, ich bin nicht "lätz". Ich möchte das Wallis zu einem lebenswerten Kanton machen, auch für Freigeister. Aber die Leute hier wollen das nicht. Entweder gehen sie wählen und entscheiden sich für konservativere Kräfte. Oder es interessiert sie gar nicht. Das muss ich akzeptieren. Eine Bekannte sagte mir vor Jahren, es sei wie bei den Pflanzen. Es brauche nahrhafte Erde und Wasser, um zu wachsen. Und obwohl ich ihr schon damals glaubte, habe ich es vielleicht erst jetzt begriffen. Das politische Oberwallis kann mir dieses Umfeld im Moment nicht bieten. Ich muss ständig mit angezogener Handbremse unterwegs sein, um nur einen Hauch von akzeptiert zu werden. Etwas, das mir in Bern nicht passiert. Ich kann es nicht beschreiben, es ist etwas Atmosphärisches. Ich bin nicht esoterisch und ich verhalte mich in Bern und an der PH nicht anders, aber meine Wirkung auf die Menschen unterscheidet sich diametral.

 

Also schreibe ich diese Wahlen ab, fokussiere mich hier im Wallis auf meine Familie, mein persönliches Umfeld und die Berge, auf die schönen Dinge, und entwickle mich beruflich in Bern und in der Deutschschweiz weiter. Dort muss ich mich nicht ständig fragen, ob das jetzt wieder "too much" ist. Im Gegenteil, da muss ich grad intellektuell dranbleiben, um mithalten zu können. Und genau das ist es, was mir Energie gibt.


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