Wie diese Abstimmungskampagne läuft – ein kurzer Zwischenruf

Es ist lustig, dass Herold Bieler gerade heute einen Kommentar mit dem Titel «Zwischenruf» über die Abstimmungskampagne zum Verfassungsentwurf veröffentlichte. Ich habe gestern einen gleichen Text geschrieben, mit etwas anderen Inhalten. Hier meine Gedanken.

 

(Das Foto stammt vom Tag der Schlussabstimmung, als wir uns in der Fraktion in Sitten noch auf einen Kaffee trafen. Irgendwie passt es zum heutigen Text und zu meiner Gefühlslage  im April und heute.)

Also.

 

Auf der einen Seite liefern sie die Zitate: die Oberwalliser Staatsräte, Nationalräte, der Ständerat. Politiker aus der SVP, der Mitte, von neo. Allesamt Männer, allesamt Juristen, Anwälte, Notare, allesamt mittleren Alters (also zwischen 43 und 62). Sie sagen Nein zur neuen Kantonsverfassung. Ihre Kampagne ist schwarz-weiss mit einem Tupfer rot, bürgerlich.

 

Auf der anderen Seite prägen Menschen aus der Zivilbevölkerung die Kampagne. Unterstützende sind Lehrer, Landwirte, Ökonominnen, Ingenieure, Musikerinnen etc. Auch Politiker:innen aus der SP, der GLP, von den Grünen sind dabei. Die Kampagne ist rot-weiss, wie der FC Sitten. Ein bisschen punk, aber scheinbar auf verlorenem Posten. Deshalb müssen wir noch etwas Gas geben.

 

Es stört mich nicht sonderlich, dass die gestandenen Politiker beim Nein-Komitee mitmachen und sich zur neuen Verfassung äussern. Auch wenn sich die Staatsräte ihrer Rolle schon bewusst sein sollten. Dennoch stimmt mich die Nein-Kampagne nachdenklich. Insbesondere der Ton, der angeschlagen wird. Das Nein-Komitee warnt, es macht sich Sorgen, spricht von Spaltung. Es wirkt populistisch. Dabei merken sie nicht, dass sie es sind, die durch das gebetsmühlenartige Wiederholen der Gefahr der Spaltung ebendiese geradezu heraufbeschwören. Sie werfen uns Träumereien vor. Dabei fehlt es ihnen an Mut, an Vision.

 

Aber, und das muss ich eingestehen, sie sprechen die Sprache der Mehrheit im Oberwallis. Zumindest der Mehrheit von jenen, die in der Regel abstimmen und wählen gehen. Ihre Exponenten sind denn auch unsere Vertreter im Staatsrat und in Bundesbern. Es sind, ausser Roberto Schmidt, nicht die Vertreter, die ich mir wünsche und auch nicht die, die meines Erachtens das Oberwallis gut abbilden. Die Gesellschaft ist offener als die Politik, vielfältiger. So nehme ich es zumindest wahr – oder rede es mir schön. Doch die Gesellschaft – oder ein grosser Teil davon – interessiert sich herzlich wenig für Politik, v.a. für die kantonale. Geht weder abstimmen noch wählen. Was ich sehr bedaure. Sind es in der Schweiz doch die Kantone, die durch die föderalistischen Strukturen und den Grundsatz der Subsidiarität sehr viel gestalten und bestimmen können. 

 

Auf der einen Seite nun also diese gestandenen Politiker. Auf der anderen Seite Menschen aus der Zivilbevölkerung. Bunter, vielfältiger, frischer. Ob es nützt? Ich kann es nicht abschätzen. Das Bild mit den über 100 Befürworterinnen fand ich heute doch sehr ermutigend. Auf mich wirkte die Nein-Kampagne bei deren Erscheinen hingegen v.a. bedrückend.  Im Aktionskomitee machen wir uns bei solchen Hängern gegenseitig Mut. Es ist unglaublich, wie viel Energie und Zeit wir in diese Kampagne stecken, in der Hoffnung, die Menschen zu informieren, ihr Interesse zu wecken, sich selbst eine Meinung zu bilden und, natürlich, für ein Ja zu überzeugen. Ein Ja zu einem Wallis von heute und morgen. Ohne dass eine oder einer von uns eine persönliche Ambition hegt. Man wirft uns vor, dass wir dann nicht Verantwortung übernehmen müssten, weil wir nicht (mehr) in der Politik sind. Dabei macht uns ja gerade dies unabhängig und glaubwürdig. Es steht keine Politstrategie dahinter, keine Machtansprüche, kein Kalkül. Wir wollen einzig ein Gegenpol sein, der andere Themen anspricht als die vier immer gleichen. Der auch über die Aufgaben des Staates spricht, welche auf die Bevölkerung vielleicht einen unmittelbareren Impact haben, als die ewigs bemühten politischen Dimensionen.

 

Viele meiner Mitschüler:innen im Kollegium arbeiten oder wohnen heute ausserkantonal. Ich pendle selbst nach Bern. In den letzten Jahren habe ich mich immer wieder mit Menschen unterhalten, die ausserkantonal studierten und für die Familiengründung zurück ins Wallis kamen. Weil sie die Kinder hier aufwachsen sehen wollten. Sobald diese grösser sind, orientieren sie sich beruflich wieder nach aussen. Sie schildern, wie eng sie es hier als Mütter oder Väter oder im Beruf empfanden, dass es nicht einfach war, zurückzukommen. Es ist ein Riesenglück, dass unser Radius für die berufliche Entwicklung dank der Neat und dem Homeoffice viel grösser wurde. Gleichzeitig ist es auch ein bisschen schade. Wir könnten auch im Wallis viel bewirken. Statt immer nach einem Minderheitenschutz zu rufen, würde ich deshalb viel lieber das Mindset und die Rahmenbedingungen öffnen und so der Abwanderung entgegenwirken.

 

Ich frage mich manchmal woran es liegt, dass hier so konservativ gewählt und öffentlich diskutiert wird. Sind die offenen Geister weg? Arbeiten sie in Berufen, in denen sie sich politisch nicht exponieren dürfen? Oder sind sie politisch einfach nicht (mehr) interessiert? Es braucht eben schon ein bisschen Mut, gegen den Mainstream anzureden, wie mich Armin Bregy im Podcast fragte.

 

Es gibt im Oberwallis keine echte öffentliche Diskussion um die Inhalte der neuen Kantonsverfassung. Ich bedaure dies sehr. Das ganze Projekt wäre eine Gelegenheit, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wohin wir als Kanton wollen. Als Oberwallis. Stattdessen haben wir uns auf die Frage nach dem Minderheitenschutz versteift. Über die Anzahl Grossratsmandate debattiert, statt über das Zusammenleben zu reden.

 

Der Walliser Bote und die bürgerlichen Parteien, allen voran deren Grossratsfraktionen, haben von Anfang an in diese Richtung gelenkt. Es war nicht möglich, bei den seltenen Gelegenheiten an einem Apéro offen über die Inhalte zu sprechen. Immer war man mit der Kritik konfrontiert, dass dies doch alles für nichts sei. Als Adrien Woeffrey das Dossier übernahm, wurde aus der Berichterstattung endlich mehr als blosser Bericht und tendenziöser Kommentar. Ab dann wurde es differenzierter. Aber die Meinungen waren gemacht.

 

Die bürgerlichen Parteien wollen Verantwortung übernehmen und sie tragen auch eine Verantwortung. Und zwar für den Diskurs. Sie beschwören mit ihrer Rhetorik, mit der Tonalität aber auch mit der Bildsprache die kantonale Spaltung geradezu hervor. Vielleicht sollten sie mal darüber nachdenken.

 

Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Wird die Kampagne wirklich noch gehässig, wie Herold Bieler dies antönte? Wie wird das Ergebnis sein? Wie die Stimmbeteiligung? Wie die Stimmung nach der Abstimmung? Anyway muss man es ein bisschen aus der Distanz sehen. Das Leben wird weitergehen. Vielleicht bleibt alles beim Alten. Bei der Verfassung von 1907. Was etwas traurig wäre. Vielleicht bewegen wir uns in eine progressive Richtung. Ein Ja hätte Ausstrahlung für die Schweiz. Es wäre ein Lichtblick, gerade auch in Anbetracht der geopolitischen Lage. Deshalb hoffe ich doch sehr, dass wir die Ja-Sagenden, die offenen Geister, an die Urne bringen und das Nein aus dem Oberwallis nicht all zu wuchtig wird. Dies wird der Fokus der nächsten Wochen sein. Wir sind auf jede Unterstützung angewiesen. Also Go! Stimme ab für das Wallis von heute und morgen. #sagauchduja.

Danica Zurbriggen Lehner

3920 Zermatt