Wirtschaft ist Care - Care ist Wirtschaft

Als Care-Arbeit werden die unbezahlten und bezahlten Tätigkeiten der Fürsorge bezeichnet. Dazu gehören Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern ebenso wie die familiäre und professionelle Pflege und Unterstützung bei Krankheit und Behinderung. Care-Arbeit wird in der Familie geleistet, unter Freunden, Nachbarinnen, in der Kranken- und Altenpflege. Care-Arbeit wird meistens von Frauen ausgeübt. Sie ist oft unsichtbar und wird von Wirtschaft und Politik, aber auch in der Gesellschaft oft nicht als eigentliche Arbeit wahrgenommen. Als "Wirtschaft" zählt, was Geld kostet bzw. einbringt. Oder was draussen, eben in der Wirtschaft passiert. Care-Arbeit gilt hingegen als Privatsache. 

Dies wirkt sich nachteilig auf die Berufskarriere und soziale sowie finanzielle Absicherung von Menschen aus, die Care-Arbeit leisten. Ich will, dass sich dies ändert und dass Care-Arbeit anerkannt, aufgewertet und fair verteilt wird. Im Beitrag beschreibe ich Ideen wie das geht.

Zuerst ein paar Zahlen

  • Vier fünftel der Care-Arbeit wird unbezahlt geleistet - vorwiegend für Kinder: In der Schweiz werden gemäss Bundesamt für Statistik rund 16 Mia. Arbeitsstunden Care-Arbeit geleistet, 8.7 Mia davon unbezahlt. Die unbezahlte Care-Arbeit hat einen Wert von über 80 Milliarden Franken. Für diese Berechnung wird die aufgewendete Zeit zu marktüblichen Löhnen für die entsprechende Tätigkeit veranschlagt. Dieser Betrag entspricht gemäss BFS in etwa den gesamten jährlichen Arbeitskosten in Baugewerbe und Handel. Sie wird in vielen ökonomischen Bereichen und gesellschaftlichen Überlegungen nicht berücksichtigt. Angesichts dieser Zahlen muss jedoch klar festgehalten werden, dass die Care-Arbeit einen grossen Teil der Wirtschaftsleistung ausmacht und den Teil, der allgemeingültig als Wirtschaft bezeichnet wird (was sich als BIP berechnen lässt), erst möglich macht. Folglich: Wirtschaft ist care - Care ist Wirtschaft. 
  • Der weitaus grösste Teil der Care-Arbeit wird unbezahlt in privaten Haushalten geleistet. Frauen übernehmen fast zwei Drittel der Kinderbetreuungsarbeit und die Mehrarbeit im Haushalt.  Auch Rentnerinnenund Rentner leisten viel Care-Arbeit. Z. B. in der Betreuung ihrer Enkel, in der Nachbarschaftshilfe oder in Altenorganisationen.
  • Bezahlte Care-Arbeit wird einerseits in staatlichen oder privaten Organisationen erbracht (Kitas, Tagesschulen, Spitäler, Heime, Spitex usw.) und im Rahmen von privaten Angeboten (z. B. Haushaltshilfen). Diese Arbeiten übernehmen zunehmend ausländische Arbeitskräfte.

Wer viel gibt kann viel gewinnen - aber auch viel verlieren

Care-Arbeit kann bereichernd sein. Die Kinder beim Aufwachsen begleiten, Angehörige in einer Krankheit pflegen, Nähe und Verbundenheit schenken. Doch sie hat auch Nachteile. Diese gilt es auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Ebene auszugleichen: 

  • Geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt: Wer Betreuungsverantwortung übernimmt, kann oft nur eine Teilzeitanstellung ausüben und ist auf eine Stelle mit regelmässigen Arbeitszeiten und wenig Mobilität angewiesen. Solche Bedingungen kann nicht jeder Betrieb bieten. Die eingeschränkte Verfügbarkeit und allfällige Unterbrüche der Erwerbsarbeit wirken sich auch auf die Weiterbildungsmöglichkeiten aus. Und Personen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten erhalten seltener verantwortungsvolle Positionen, weil ihre Vorgesetzten unvorhergesehene Absenzen befürchten. Fazit: Care-Arbeitende bleiben auf der Karriereleiter stecken und nehmen deutliche Lohneinbussen in Kauf. 
  • Fehlende Anerkennung der Qualifikation: wer Care-Arbeit übernimmt, leistet ausserberuflich anspruchsvolle Arbeit und erwirbt dabei vielfältige Kompetenzen, Z. B. hinsichtlich Belastbarkeit, Flexibilität, Kommunikation und Organisation. Diese Kompetenzen werden auf dem Arbeitsmarkt als Schlüsselkompetenzen bezeichnet, doch als ausserberuflich erworbene Kompetenzen werden sie oft nicht anerkannt. Das Augenmerk liegt vielmehr auf den verlorenen Berufsjahren. Es entstehen Lücken im Lebenslauf, die auf dem Arbeitsmarkt, wie wir ihn heute kennen, schwer zu erklären sind. 
  • unzureichende soziale Absicherung: Eltern wird für die Jahre der elterlichen Sorge für Kinder unter 16 Jahren ein theoretisches Einkommen bei der AHV gutgeschrieben, so genannte Erziehungsgutschriften. Analog dazu können für die Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen im eigenen Haushalt Betreuungsgutschriften der AHV beantragt werden. Damit wird der Einkommensverlust von Care-Arbeitenden bei der AHV-Rente zumindest teilweise ausgeglichen. 
    Bei der zweiten Säule machen sich Erwerbsausfälle aufgrund von Betreuungsarbeit stärker bemerkbar, vor allem für Geschiedene, Konkubinatspaare und Alleinstehende. Personen mit reduzierter Erwerbstätigkeit kommen je nach Lohnhöhe und Arbeitspensum nicht auf den Mindestlohn, der zu einer Versicherung berechtigt. Sie verlieren dadurch Beitragsjahre und müssen massive Einbussen bei den Renten in Kauf nehmen. Diese fehlende Kompensation in der beruflichen Vorsorge kann zur Folge haben, dass der Staat mehr Ergänzungsleistungen und mehr Sozialhilfe bezahlen muss.

Oft wird am falschen Ort gespart

Sparmassnahmen bei öffentlichen und privaten Care-Institutionen wirken sich auch auf Familien und Privathaushalte aus: Patientinnen und Patienten werden von Spitälern früher entlassen und müssen bis zur vollständigen Genesung oft zuhause weiter gepflegt werden. Wenn das Spitex-Angebot zunehmend auf die Pflege konzentriert und die Haushaltsunterstützung eingeschränkt wird, übernehmen Angehörige die zusätzliche Hausarbeit oder delegieren diese – falls finanziell möglich – an private Dienstleistende. Care-Arbeit wird so nicht eingespart, sie wird lediglich verlagert.

Lösungsansätze

Care -Arbeit soll anerkannt und aufgewertet werden. Sie soll ausgeglichener verteilt werden und bezahlbar sein.

 

Dafür gibt es verschiedene Wege:

  1. Unbezahlte Care-Arbeit als gesellschaftlich zentrale, volkswirtschaftlich relevante und unverzichtbare Arbeit anerkennen. Im Rahmen der Arbeiten zur neuen Verfassung des Kantons Wallis geschieht dies bspw, in dem die primäre Solidarität und die Rolle der betreuenden Angehörigen vom Staat anerkannt und unterstützt wird. Doch nicht nur der Staat ist gefordert. Auch in Gesellschaft und Wirtschaft muss ein Umdenken stattfinden. Dies kann durch politische Rahmenbedingungen gefördert werden.
  2. Die Arbeitsbedingungen für bezahlte Care-Arbeit müssen fair und gemäss den Besonderheiten dieser Arbeit ausgestaltet sein. Es muss genügend Personal ausgebildet werden, das unter guten Rahmenbedingungen arbeiten kann und angemessen entlöhnt wird.
  3. Kompetenzen aus unbezahlter Care-Arbeit sollen auf dem Arbeitsmarkt angerechnet werden. Bei der Care-Arbeit werden wie oben erwähnt wichtige Schlüsselkompetenzen erworben und gefestigt, die auch bei der Erwerbsarbeit relevant sind. Dies muss bei einer Neueinstufung einfliessen und auch bei der Betrachtung von Lebensläufen. Wir sollten wegkommen von der Idee, dass Lebensläufe linear sein müssen. So lässt sich unbezahlte Care-Arbeit mit einer beruflichen Laufbahn vereinbaren.
  4. Care-Arbeit sollte ausgeglichener auf die Geschlechter verteilt werden. Frauen sind so sozialisiert, dass sie nach wie vor und wie selbstverständlich den Hauptteil der Familien- und Hausarbeit übernehmen. Hier gilt es umzudenken. 

Quellen:

Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG (2010). Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit. Impulse aus der Sicht der Gleichstellung. 

Webseite des Equal Care Day

Bild: unsplash.com

Danica Zurbriggen Lehner

3920 Zermatt