Frauen wählen

"Kompetenz hat kein Geschlecht". "Es braucht einfach noch Zeit". Das sind die Sätze, die ich diesen Wahlkampf wieder oft gehört und gelesen habe. Und ich muss es zugeben, sie beschäftigen mich. 

 

Ich bin mir bewusst, mit Frauenthemen gewinnt man/frau im Wallis keine Wahlen. Bescheiden zu sein kommt hier weit besser an als zu fordern. Doch ich finde es gehört trotzdem mal gesagt: wir brauchen mehr Frauen in der Walliser Politik. National haben wir einen grossen Schritt vorwärts gemacht: 42% Frauen im Nationalrat, 26% im Ständerat, 3 Bundesrätinnen. Dies prägt die nationale Politik. Aber kantonal? Com'on. Eine kantonale Regierung ohne Frauen. 2021?

 

Und ja, es kandidieren viele Frauen für das Parlament. Aber ob sie auch gewählt werden? Das entscheiden Sie, liebe Wählerinnen und Wähler. Warum ich es wichtig finde können Sie im Beitrag lesen. 

Was fehlt sind Frauen an der Basis

Alle Staatsratskandidatinnen und -kanditaten werden danach gefragt, in allen Interviews: Wie kann es sein, dass 2021 höchst wahrscheinlich keine Frau in der Walliser Regierung ist? Wir haben mit Brigitte Wolf eine etablierte Kandidatin. Eine aus dem Oberwallis, eine, die sich für Frauenthemen stark macht und die sich überparteilich engagiert. Doch sie ist eine Grüne und darum gerade im Oberwallis für viele nicht wählbar.

 

Und die anderen Parteien? Sie haben drei Jahre lang eine Kandidatin gesucht. Man sucht nicht Kandidatinnen für den Staatsrat. Man baut sie auf. In den Gemeinderäten, im Kantonsparlament. Wo keine Basis da ist gibt es auch keine Auswahl für Exekutivämter. So einfach ist das. Das wurde jahrelang verschlafen. In den 90ern sah es so aus, als sei politische Teilhabe für die Walliser Frauen erreicht. Man/frau lehnte sich zurück. Auch in unserer Partei. Da gibt es nichts schönzureden. Und es war falsch. Denn nun fehlt die Basis.

Und Frauen sind doch anders

Woran es liegt? Einerseits sicher an den Rollenbildern, die so stark verinnerlicht sind. Aber auch daran, dass ein Teil der feministischen Bewegung sagte, es gäbe keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Alles sei sozial konstruiert. Das dachte ich auch lange. In den letzten Jahren habe ich mich mehr dem Thema gewidmet*, mehr dazu gelesen und heute denke ich: wir Frauen sind anders. Auch wenn vieles tatsächlich sozial konstruiert ist, wir können es nicht wegdiskutieren: wir Frauen leben in einer anderen Lebenswelt als die Männer. 75% der unbezahlten Carearbeit wird von Frauen erledigt. Für die Wirtschaft ist diese Arbeit unsichtbar, für die Politik ist sie privat. Und so sind es eben auch die Anliegen der Frauen: entweder unsichtbar oder privat, nichts für die politische Agenda. Dann die medizinische Forschung, in der die Frauen jahrelang ausgeblendet wurden. Weil zu kompliziert, weil zu teuer. Wegen dem weiblichen Zyklus, ja das ist der Grund. Dabei wirken Medikamente bei Frauen anders als bei Männern. Und Frauen haben andere Symptome, z.B. beim Herzinfarkt. Weshalb dieser bei Frauen oft zu spät erkannt wird. Und gerade weil wir Frauen anders sozialisiert wurden und werden, weil wir immer noch oft andere Rollen als Männer haben, weil wir das unsichtbare, das unerforschte Geschlecht sind, gehören auch wir in die Politik. Unsere Interessen und Themen müssen dort auch vertreten sein. 

Kompetenz kennt kein Geschlecht

"Es kommt nicht auf das Geschlecht an, sondern auf die Kompetenz". Oder noch besser: "Ja, wir brauchen mehr Frauen in der Politik. Aber fähige Frauen, keine Quotenfrauen". Wie regen mich solche Sätze auf. Sie implizieren immer, dass Frauen weniger kompetent sind. Aber es stimmt schlicht nicht. Intelligenz ist normalverteilt. Schon als ich im Jahr 2000 Matura machte waren wir gleich viele Frauen wie Männer. Das war vor 21 Jahren! Das sollte sich doch nun auch in den Chefetagen, an den Unis und in der Politik abbilden.  

Ich mag nicht mehr warten

"Es braucht einfach noch Zeit". Diesen Satz hat der (voraussichtlich) zukünftige Grossratspräsident in der Debatte auf Kanal 9 gefühlt 30 Mal wiederholt (ab 7:10). Und ich mag diesen Satz nicht mehr hören. Ich bin überhaupt nicht damit einverstanden, dass wir mit mehr Geduld schneller ans Ziel kommen. Wir müssen unsere Geschicke selber in die Hand nehmen. Denn Zeit hatten wir doch schon genug. Wieso um alles in der Welt müssen wir 2021 noch darüber diskutieren, dass Löhne ungleich sind und Frauen mit bis zu 40% tieferen Renten rechnen müssen? Warum sind Frauen immer noch so häufig Opfer von sexueller und häuslicher Gewalt? Warum müssen wir 2021 Social Media Kampagnen lancieren mit dem # stophatespeech? Warum muss das Schweizer Fernsehen nach einer Sendung über Frauen in der Wissenschaft die Kommentarfunktion sperren vor lauter Hasskommentaren zu den eben portraitierten Frauen? Nein. Wir brauchen nicht noch mehr Zeit, noch mehr Geduld. Was wir brauchen sind Frauen in der Politik, die sich genau diesen Themen annehmen. Punkt. 


* Warum ich anfing, mich mit Feminismus zu beschäftigen? Wegen dem Buch "Partnerschaft und Elternschaft. Die Modernisierung der Familie" von meinem Professor Walter Herzog, 1997 geschrieben und schon lange vergriffen. Walter Herzog beschreibt, dass viele Familien ab der Geburt des zweiten Kindes ein traditionelles Modell leben. Ich dachte, das passiert mir nicht. Und wie es mir passierte. Ganz unbewusst. Nach der Geburt (oder besser gesagt im Mutterschaftsurlaub) unserer Tochter. All die Theorie, die ich im Studium gelesen hatte wurde mir mit aller Wucht vor Augen geführt. Und ich wusste, dass ich dies für meine Kinder nicht mehr will. Darum werde ich nicht müde, diese Themen anzusprechen. Wieder und wieder. Mal mit mehr Gelassenheit, mal direkter :-).

Danica Zurbriggen Lehner

3920 Zermatt