Wirtschaft anders denken.

Was mich durch das Corona-Jahr gerettet hat waren Bücher und gute Texte, die ich in den sozialen Medien entdeckte, die zum Nachdenken einluden. 

 

Dabei ging es immer mal wieder um die Frage, wie wir nachhaltig und verantwortungsvoll wirtschaften können. Um die Frage, ob wir Wirtschaft überhaupt richtig messen? Die Frage, was wir als Einzelne und als Gesellschaft beitragen können, damit auch unsere Kinder und deren Nachfahren eine gute Zukunft haben.

 

Fragen, die mich auch im nächsten Jahr begleiten werden. Falls ihr Anregungen habt, Artikel, Bücher: ich freue mich über eure Hinweise und anregende Diskussionen.

Wirtschaft bzw. Wohlfahrt messen

Die Diskussion begann in meiner Kommission im Verfassungsrat. Wir stellten uns die Frage, welche Indikatoren zur Messung der Wirtschaft herangezogen werden sollen. Oft ist es lediglich das Bruttoinlandprodukt, das BIP. Doch die Wirtschaftsleistung eines Landes sagt nicht genug darüber aus, wie es den Menschen geht. Dafür müssen wir die Wohlfahrt messen. Wohlfahrt wird synonym zur Lebensqualität verwendet und entspricht dem englischen Begriff «Well-Being». Sie umfasst sowohl die materielle (z.B. Einkommen, Vermögen) als auch die immaterielle Situation der Bevölkerung (z.B. Bildung, Gesundheit, soziales Netz). Zudem spielt neben der objektiven Lebenssituation auch ihre subjektive Einschätzung eine wichtige Rolle für die Wohlfahrt. Das Bundesamt für Statistik (BFS) legt dafür ein Indikatorensystem mit über 40 Indikatoren aus den drei Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt vor und fasst die Ergebnisse in einem Bericht zusammen. 

 

Wohlfahrt wird vom BFS somit hinsichtlich der folgenden zehn Dimensionen gemessen und dargestellt:

  • Materielle Situation,
  • Wohnsituation,
  • Arbeit und Freizeit,
  • Bildung,
  • Gesundheit,
  • Soziales Netzwerk,
  • Politische Partizipation,
  • Physische Sicherheit,
  • Umweltqualität und
  • Subjektives Wohlbefinden. 

All dies trägt zur Wohlfahrt der Bevölkerung bei. Diese Überlegungen zur Wohlfahrt sind nicht neu, in jüngster Vergangenheit sind sie aber wieder vermehrt ins Zentrum des Interesses gerückt. So wird es im Bericht des BFS beschrieben. Dies geschieht vor dem Hintergrund von allgemeinen längerfristigen Entwicklungen wie der Entstehung neuer, nicht-materieller Bedürfnisse im Zuge des steigenden Wohlstands, der zunehmenden internationalen Vernetzung der Wirtschaftstätigkeit und der globalen Umweltprobleme. Auch die Corona-Pandemie trägt dazu bei und lässt uns neue Fragen in den Fokus rücken. 

 

Ausgangspunkt für Initiativen zur Wohlfahrtsmessung ist die Kritik am BIP bzw. an seiner falschen Verwendung als Mass für Wohlfahrt und Lebensqualität. Das BIP misst nur das, was einen Preis hat. Alles was privat geleistet wird misst es nicht. Z.B. Kinderbetreuung und Angehörigenpflege. Private Care-Arbeit also, die einen grossen Teil der Arbeitsleistung ausmacht und wesentlich zur Wohlfahrt beiträgt (wie ich in diesem Blogbeitrag beschreibe) fliesst nicht in das BIP ein. 

Nachhaltige Entwicklung

Nachhaltigkeit – einer dieser Begriffe, der in den letzten Jahren gerne strapaziert wird. Was bedeutet er genau? „Nachhaltige Entwicklung“ bezieht sich auf den verantwortungsbewussten Umgang mit den endlichen Ressourcen unserer Erde. Sie muss immer in den drei Dimensionen Ökologie, Wirtschaft und Gesellschaft gesehen werden. Die bekannteste Definition ist die im Brundtland-Bericht (1987): "Dauerhafte Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“

 

2015 verabschiedete die UN-Vollversammlung die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“. Diese stellt klar, dass sich die globalen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft meistern lassen, wenn die internationale Staatengemeinschaft zusammenarbeitet. Die Agenda 2030 gilt sowohl für Entwicklungsländer, Schwellenländer und Industriestaaten. Sie verpflichte alle Länder dazu, einen Beitrag zur Zukunft des Planeten zu leisten. 

 

Was kann die Wirtschaft beitragen? Gibt es da nicht viel zu viele Zielkonflikte? Verbote hier, Verzichten da – die Wirtschaft ist aber auch Wachstum ausgerichtet. Es braucht ein Umdenken, da bin ich mir sicher. Doch die Ziele einer nachhaltigen Welt zu verfolgen bedeutet auch, innovativ zu sein und politische Rahmenbedingungen zu schaffen, die Anreize setzen, nicht Verbote. Dass wir das können, da bin ich überzeugt. 

Nachhaltig wirtschaften

Ideen, wie nachhaltiges Wirtschaften aussehen könnte, beschreiben drei Ökonominnen im Magazin Globe der ETH Zürich. Sie gehen der Frage nach, wie eine Wirtschaft gestaltet werden kann, damit sie den Menschen dient und gleichzeitig die natürlichen Grundlagen erhält.

 

Eine der drei Expertinnen, Irmi Seidl, betont, Technologie und Freiwilligkeit allein würden nicht reichen, um die Probleme Klimawandel, Naturzerstörung und Artensterben zu lösen. Für sie braucht es einen Strukturwandel: "Essenziell ist, dass wir umweltschädigende Anreizstrukturen ändern". Dazu müsste man einerseits natürliche Ressourcen und Energie nach der ökologischen Knappheit bewerten und negative Auswirkungen auf Klima und Umwelt konsequent bepreisen. Maja Göpel schreibt dazu in ihrem Buch "Die Welt neu denken", dass die Schäden, bei der Herstellung eines Produkts in der Umwelt entstehen, in keiner ökonomischen Bilanz auftauchen. Das, was wir für ein Produkt bezahlen, entspricht also nicht dem, was das Produkt in Wirklichkeit kostet. Beispielsweise bei einem Flugticket. Im Preis stecken, neben all den anderen Kosten auch die für das Kerosin. Was es kostet, das Kohlendioxid, das bei diesem Flug anfällt, wieder aus der Erdatmosphäre zu entfernen, ist jedoch nicht im Preis inbegriffen.

 

Die Ökonominnen der ETH Zürich fügen weitere Ideen an: So gilt es, Subventionen neu zu gestalten. So dass sie die Umwelt weniger schädigen bzw. ressourcenschonende Wege oder eine Kreislaufwirtschaft fördern. Und wir kommen nicht umhin, über Wachstum zu diskutieren. Seidl erachtet es als notwendig, zentrale gesellschaftliche Bereiche weniger wachstumsabhängig zu gestalten. Als Beispiel nennt sie Steuereinnahmen und Sozialwerke. Beide werden aus ihrer Sicht stark durch Abgaben auf Erwerbsarbeit finanziert, während die Unternehmenssteuern sinken. Das macht Arbeit zusehends teurer, erklärt die Ökonomin. Folglich ersetzen Firmen Arbeit durch Technologie. Also braucht es wieder Wachstum, um Erwerbsarbeit zu schaffen. Diese Wachstumsspirale gilt es zu stoppen.

 

 

Die Frage, wie wir eine nachhaltige, verantwortungsvolle Wirtschaft gestalten können, wird uns weiter beschäftigen. Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass Selbstverständliches doch nicht so selbstverständlich ist, dass die Welt eine globalisierte ist und dass wir Prioritäten vielleicht doch anders setzen müssen. Diesen Themen nachzugehen, wirtschaftsfreundliche Lösungen zu suchen, darauf freue ich mich. Und wie einleitend gesagt, freue ich mich auf eure Hinweise und auf angeregte Diskussionen. Auch, oder gerade wenn ihr es anders seht. Ich bin gespannt.

 

In diesem Sinne: einen guten Start ins 2021.

Zum Weiterlesen

Bundesamt für Statistik (2020). Indikatorensystem Wohlfahrtsmessung. Ausgabe 2020.

Göpel, Maja (2020). Unsere Welt neu denken. Eine Einladung. Berlin: Ullstein.

 

Bild: unsplash.com

Danica Zurbriggen Lehner

3920 Zermatt